Haiti

Wie man ein Land in Armut hält

Als ich 1998 bei medico international anfing, gab es die in vielen Publikationen verwendete Redewendung „arm gehaltene Länder“. Die Wendung verschwand aus dem Sprachgebrauch, aus vielen, manchen richtigen Gründen. Wenn man aber wissen will, wie der globale Kapitalismus von Anbeginn an ein Land in Armut hält, dann gibt es kein aufschlussreicheres Beispiel als Haiti, das jedes Jahr wieder einen Spitzenplatz in der Liste der Polykrisen einnimmt. Seit dem Erdbeben von 2010 beschäftige ich mich mit den Ursachen dieser nicht endend wollenden Katastrophe, die mit der Auslöschung der Urbevölkerung und dem ungeheuren Verbrauch von schwarzen Sklaven in der einst reichsten Kolonie Frankreichs begann. Man kann koloniale und postkoloniale Weltgeschichte von Haiti aus erzählen. Man kann nicht nur, man muss. Denn es gäbe keine Universalgeschichte der emanzipatorischen Moderne ohne die haitianische Revolution, die mit einem Aufstand schwarzen Sklavinnen und Sklaven 1791 begann. Wenn Leben in Haiti heute einem Abgrund gleicht, dann ist das auch der Abgrund der Moderne.

Seither schreibe ich in Texten u.a. für die taz, für medico, in verschiedenen Publikationen gegen ein verbreitetes Haiti-Bild in unseren Öffentlichkeiten an, das sich am haitianischen Abgrund als dem Anderen echauffiert, um den eigenen nicht zu sehen.

Katja Maurer / Andrea Pollmeier

Haitianische Renaissance

Der lange Kampf um postkoloniale Emanzipation


1. Auflage 2020
228 S., Paperback Großoktav (23,5 x 15,5 cm)
ISBN 978-3-95558-276-0

https://www.brandes-apsel.de/haitianische-renaissance.html


Jede Idee von einer postkolonialen Ordnung nimmt in Haiti ihren Ausgangspunkt. Die ­Haitianische Revolution hat mit der Unabhängigkeit 1804 ein neues Kapitel Universalgeschichte geschrieben. Die Normen, die dieser Revolution gesetzt hat – die Universalität der Menschenrechte – sind bis heute unterhintergehbar und werden doch systematisch verletzt.

Aufstände von Kairo bis Port au Prince fordern bei aller Unterschiedlichkeit eine neue Dekolonisierung, die diese Normen auch zu einer gelebten Praxis werden lassen. Es geht um ein Leben in Würde für alle, in dem Anerkennung eines jeden eine Frage von sozialer Gerechtigkeit, aber auch demokratischer Teilhabe ist.

Was dazu von Haiti aus zu lernen und beizutragen ist, zeichnet dieses Buch in Essays,­ ­Reportagen und Interviews nach. Zu Wort kommen unter anderem: Raoul Peck, Gary Victor, Suzy Castor Yanick Lahens, Ricardo Seitenfus, Fritz Jean Alphonse.

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